Tanzstile erkennen

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in Bastet

Lange Zeit war der Begriff "Stil" für mich etwas Unfassbares, Schwammiges. Ich schaute mir Auftritte oder Videos von Orientalischen Tänzerinnen an und konnte sagen, ob sie mir gefallen oder nicht - aber ob sie ägyptischen, türkischen, libanesischen, amerikanischen, alten, modernen, Sharqi oder Baladi-Stil tanzten, konnte ich nicht unterscheiden.

Ich habe einige Jahre gebraucht, um die stilistischen Feinheiten und typischen Bewegungen identifizieren zu können und denke, dass dies auch wirklich einige Erfahrung und ein geschultes Auge braucht. Irgendwann begann ich dann, "Stil" zu erkennen und systematisch zu identifizieren. Überraschenderweise konnte ich so plötzlich auch Tänzerinnen schätzen, die vorher bei mir im "gefällt mir nicht" Topf gelandet waren. Ich begann, mich regelrecht in den Stil von einzelnen Tänzerinnen einzuarbeiten. Das Resultat war, neben der persönlichen Bereicherung meines Repertoires, dass ich mittlerweile auch Workshops über die Stile von grossen Stars wie z.B. Nagwa Fuad, Amani, Suheir Zaki oder Dina unterrichte.

Hier möchte ich ein wenig erklären, wie ich bei der Stilanalyse vorgehe, und ein paar typische Beispiele für Elemente von verschiedenen Regionen und Tänzerinnen geben.

Die Analyse

Am besten lässt sich ein Stil mit Hilfe von Video-Aufnahmen bestimmen. So kann man sich den gleichen Tanz mehrmals ansehen und dabei auf verschiedene Details achten, die auf einen Blick kaum gleichzeitig erfassbar sind. Für das tiefere Verständnis einer bestimmten Tänzerin ist ausserdem empfehlenswert, sich verschiedene Aufnahmen anzusehen, die möglichst auch in unterschiedlichen Umgebungen aufgenommen wurden. Eine Tänzerin nur aufgrund eines einzelnen Auftritt zu bewerten wird ihr meist nicht gerecht - und auch ein grosser Star kann übrigens mal einen schlechten Abend haben!

Leider sind vor allem arabische Aufnahmen oft etwas nervtötend geschnitten, z.B. mit Nahaufnahmen des Gesichts, wenn man sich mehr für den Hüftshimmy interessieren würde oder einem Schwenk ins Publikum während den interessantesten Akzenten. Andererseits lernt man bei der Video-Analyse plötzlich schätzen, dass manche Tänzerinnen hoch geschlitzte oder kurze Röcke tragen – so sieht man nämlich besser, was sie mit den Beinen machen...

Wenn man Tänzerinnen so genau analysiert, fallen einem übrigens auch gewisse Schwächen auf. So sind zum Beispiel viele der berühmten Tänzerinnen sehr einseitig: sie drehen immer nach rechts, machen einen Beckenkreis immer nach links, benutzen vor allem eine Hüfte für Drops...

Ebenfalls Acht geben muss man, dass man nicht aus lauter Bewunderung für eine Tänzerin deren Ticks und Manierismen übernimmt. Wenn sich eine Tänzerin zum Beispiel öfters eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht, sieht diese Geste ziemlich seltsam aus, wenn man selber kurze Haare hat.

Die einzelnen Kriterien

Arme und Hände

Etwas vom Bezeichnendsten für den Stil und auch den persönlichen Ausdruck einer Tänzerin sind für mich die Arme und Hände. Hier achte ich einerseits auf die Haltung, andererseits auf das Tempo:

Hüften

Die Hüftbewegungen sind natürlich das, was unser Auge am ehesten anzieht.

Oberkörper

Ausrichtung im Raum

Dazu muss auch die Umgebung beachtet werden, in der die Tänzerin sich bewegt. In einem Nachtclub, wo sie zu 3 Seiten Publikum hat, wird sie sich meist anders orientieren als bei einer Fernseh- oder Bühnenshow, wo Publikum, respektive Kamera nur auf einer Seite vorhanden sind.

Kopf

Musikinterpretation

Weiteres

Beispiele für Stile

Je mehr ägyptische Tänzerinnen ich studiert habe, umso schwieriger finde ich es, "den" ägyptischen Stil zu definieren, da sie zum Teil sehr unterschiedlich tanzen. Nagwa Fuad, Suheir Zaki und Dina sind zum Beispiel drei ganz verschiedene Persönlichkeiten und das zeigt sich auch in ihren Tanzstilen.
Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie zwischendurch längere Zeit am gleichen Ort tanzen. Selbst Nagwa hat in ihren durchchoreografierten, bühnenfüllenden Shows Sequenzen, an denen sie sich kaum vom Fleck bewegt. Ganz allgemein wird in Ägypten weniger jedem einzelnen Akzent nachgejagt, als wir es uns in Europa gewöhnt sind.

Das Erste, das einem an libanesischen Tänzerinnen auffällt, sind die hohen Pumps, in denen sie tanzen. Diese beeinflussen natürlich auch den Tanzstil. Die Hüftbewegungen gehen eher nach oben und der Hüftdrop ist eigentlich mehr ein Twist.
Die meisten Videos, die ich gesehen habe, stammen von Fernsehaufnahmen, wo die Tänzerinnen grosse Flächen auszufüllen haben, was natürlich dazu führt, dass sie sich viel im Raum bewegen. Libanesinnen drehen oft und zum Teil auch recht lange.

Ebenfalls meist mit Schuhen, aber mit etwas schwereren, tanzen die meisten Türkinnen und das meist in hohem Tempo. Zwischendurch wird gerne auch mal ein Bein nach vorne oder hinten hoch gekickt. Ein Spezialfall ist Asena, die mit ihrem eleganten Tanzstil und durch ihre unterkühlte Ausstrahlung auffällt.

Stil übernehmen

Nach all der Analyse hat man sicher eine ganze Liste von Bewegungen zusammengetragen, die einem gefallen. Diese kann man nun möglichst originalgetreu üben oder dem eigenen Stil anpassen und so in das persönliche Repertoire eingliedern. Dabei wird man auch feststellen, dass es Bewegungen gibt, die an einer anderen Tänzerin toll aussehen, aber nicht zu einem selbst passen.

Verschiedene Tänzerinnen ganz genau zu beobachten kann gerade für fortgeschrittene Tänzerinnen ein gutes Instrument zur Weiterbildung sein.

Lest auch meinen Artikel Tanzen wie die grossen Stars.